Wimbledon 2012, London |
zurück zur Übersicht Last updated: 30.01.2023 |
Die Favoriten - Djokovic, Nadal, Federer, Murray, Tsonga, Berdych |
Das grosse Thema war der Schocksieg von Lukas Rosol über Rafael Nadal in der zweiten Runde. Es sieht so aus als ob jeder den grandiosen fünften Satz voll mit pfeilschnellen und aalglatten Gewinnschlägen gesehen hat und man noch jahrelang davon sprechen wird. Aber niemand war bei den ersten vier Sätzen dabei. Erst mit den langersehnten Halbfinals der Herren gab es neue Schlagzeilen über die Topspieler.
Das Nadal-Aus hatte dazu geführt, dass die heimische Hoffnung Murray nun nicht mehr wie jeweils in den vergangenen zwei Jahren im Halbfinale gegen Nadal würde ausscheiden können. Wie schon im letzten Jahr konnte Tsonga in die Halbfinals einziehen und somit in die Phalanx der Top 4 einbrechen.
Weiter hatte sich für Federer die Gegnerschaft um die Nummer 1-Position in der Weltrangliste nun einzig und allein auf Djokovic reduziert. Bis in den Oktober wird der Schweizer eine realistische Möglichkeit haben, die fehlende Woche zur Egalisierung von Sampras' 286-Wochen-Rekord und eine weitere Woche bis zur alleinigen Übernahme des Rekords der längsten Anzahl Wochen an der Weltranglistenspitze zu erreichen. Die erste Chance dazu bietet sich ihm bereits mit einem Turniersieg in Wimbledon. Die Chance auf die Nummer 1 könnte die Schweiz die Davis Cup-Teilnahme von Federer in der Relegation im September in den Niederlanden auf Sand kosten. Er wird wohl kurz danach die gut dotierten Turniere in Asien spielen wollen um sich so die Chance auf möglichst viele Punkte zu wahren.
Sämtliche oben genannte Turnierplanung im Herbst kann bereits wieder über den Haufen geworfen werden. Denn Federer hat seinen siebten Wimbledontitel gewonnen und die Weltranglistenspitze erklommen. Damit sichert er sich bereits jetzt den Rekord als derjenige, der den Tennisthron über die längste Zeit inne hatte. Nun kann er tun und lassen was er will. Er ist der Beste aller Zeiten. Das Einzel-Gold bei Olympia in vier Wochen wäre noch die absolute Krönung.
Herren Einzel | ||||||
1. Runde | 2. Runde | 3. Runde | 4. Runde | Viertelfinal | Halbfinal | Final |
Novak
Djokovic (1) - Juan Carlos Ferrero 6:3 6:3 6:1 |
Novak
Djokovic (1) - Ryan Harrison 6:4 6:4 6:4 |
Novak
Djokovic (1) - Radek Stepanek (28) 4:6 6:2 6:2 6:2 |
Novak
Djokovic (1) - Viktor Troicki 6:3 6:1 6:3 |
Novak
Djokovic (1) - Florian Mayer (31) 6:4 6:1 6:4 |
Roger
Federer (3) - Novak Djokovic (1) 6:3 3:6 6:4 6:3 |
Roger
Federer (3) - Andy Murray (4) 4:6 7:5 6:3 6:4 |
Radek
Stepanek (28) - Sergiy Stakhovsky 6:1 1:0 ret. |
Radek
Stepanek (28) - Benjamin Becker 6:2 7:6 6:3 |
|||||
Ernests
Gulbis - Tomas Berdych (6) 7:6 7:6 7:6 |
Jerzy
Janowicz (Q) - Ernests Gulbis 2:6 6:4 3:6 7:6 9:7 |
|||||
Roger
Federer (3) - Albert Ramos 6:1 6:1 6:1 |
Roger
Federer (3) - Fabio Fognini 6:1 6:3 6:2 |
Roger
Federer (3) - Julien Benneteau (29) 4:6 6:7 6:2 7:6 6:1 |
Roger
Federer (3) - Xavier Malisse 7:6 6:1 4:6 6:3 |
Roger
Federer (3) - Mikhail Youzhny (26) 6:1 6:2 6:2 |
||
Julien
Benneteau (29) - Daniel Gimeno-Traver 4:6 6:3 6:0 6:0 |
||||||
Janko
Tipsarevic (8) - David Nalbandian 6:4 7:6 6:2 |
||||||
Andy
Murray (4) - Nikolay Davydenko 6:1 6:1 6:4 |
Andy
Murray (4) - Ivo Karlovic 7:5 6:7 6:2 7:6 |
Andy
Murray (4) - Marcos Baghdatis 7:5 3:6 7:5 6:1 |
Andy
Murray (4) - Marin Cilic (16) 7:5 6:2 6:3 |
Andy
Murray (4) - David Ferrer (7) 6:7 7:6 6:4 7:6 |
Andy
Murray (4) - Jo-Wilfried Tsonga (5) 6:3 6:4 3:6 7:5 |
|
Jo-Wilfried
Tsonga (5) - Lleyton Hewitt (W) 6:3 6:4 6:4 |
Jo-Wilfried
Tsonga (5) - Guillermo Garcia-Lopez 6:7 6:4 6:1 6:3 |
Jo-Wilfried
Tsonga (5) - Lukas Lacko 6:4 6:3 6:3 |
Jo-Wilfried
Tsonga (5) - Mardy Fish (10) 4:6 7:6 6:4 6:4 |
Jo-Wilfried
Tsonga (5) - Philipp Kohlschreiber (27) 7:6 4:6 7:6 6:2 |
||
Rafael Nadal (2) - Thomaz Bellucci 7:6 6:2 6:3 |
Lukas
Rosol - Rafael Nadal (2) 6:7 6:4 6:4 2:6 6:4 |
Novak Djokovic
(ATP 1),
Juan Carlos Ferrero
(ATP 38),
David Nalbandian
(ATP 40)
Djokovic geniesst es ab und zu auf einem für die
Zuschauer zugänglichen Platz zu trainieren. Es muss nicht immer einer der
abgeschotteten Plätze sein. Den Trick, dass er nach den Überkopfbällen den Ball
des letzten Lobs in seiner Hosentasche fängt (Bild 6), den kannte ich schon aus
Monte Carlo.
Nach ihm hatten Nalbandian und sein heutiger Gegner Ferrero den Court 11
gebucht. Zwar grüssten sich Djokovic und Ferrero, aber so kurz vor dem Match
bleibt das ausgiebige Gespräch natürlich aus. Dafür schäkerte der
Weltranglistenerste mit Nalbandian. Der 30-jährige Argentinier aus Cordoba kann
etwas gute Publicity durchaus gebrauchen. Als Finalist von 2002 hat er an
Wimbledon zwar gute Erinnerungen. Nach seinem Aussetzer im Finalspiel beim
ATP-Turnier im Queen's Club in London vor Wochenfrist ist er aber beinahe zur
Persona non Grata verkommen. Er hatte nach einem verlorenen Ballwechsel voll in
die Holzabdeckung vor dem Linienrichter gekickt und diesem damit eine blutende
Wunde am Schienbein zugefügt. Daraufhin wurde er umgehend disqualifiziert.
Novak Djokovic
(ATP 1)
-
Juan Carlos Ferrero
(ATP 38)
Traditionell darf der Titelverteidiger bei den
Herren das Turnier auf dem jungfräulichen Rasen des Centre Courts eröffnen.
Dieses spezielle Szenario hatte ich noch nie mitverfolgt. In diesem Jahr aber
starteten die Matches auf den Aussenplätzen eine halbe Stunde früher. So
begannen die Partien auf den Aussenplätzen um 11:30 Uhr und dasjenige auf dem
Centre Court weiterhin erst um 13:00 Uhr. Dadurch hatte ich endlich genügend
Zeit, um mir einiges an Tennis auf einem Aussenplatz anzusehen und dann immer
noch rechtzeitig auf dem Hauptplatz zu einzutreffen. Der serbische
Titelverteidiger hatte sich einen kleinen Scherz mit einem Golfschläger erlaubt
(Bild 2), den er zuerst anstelle eines Tennisrackets zückte. Der Rückhandslice
von Djokovic ist ausserordentlich gut gespielt und der Ball bleibt in seiner
Flugbahn auffallend tief. Das stellt speziell auf Rasen eine starke Waffe dar.
Novak Djokovic
(ATP 1)
- Radek Stepanek
(ATP 27)
Am Freitagmittag war dies das erste Match auf dem
Centre Court nach dem Ausscheiden von Nadal am Vorabend. Nachdem er seine Schuhe
wie verlangt von rot/blau auf weiss gewechselt hatte (Bilder 1-2), schnappte
sich Stepanek etwas unverdient den ersten Satz und jeder hielt eine weitere
Sensation für möglich. Schnell relativierten sich die Verhältnisse dann aber und
nahmen gewohnte Bahnen an. Es bleibt aber anzumerken, dass sowohl
Nadal-Bezwinger Rosol, Satzgewinner Stepanek gegen Djokovic als später am Abend
auch Benneteau, der Federer über fünf Sätze zwang, allesamt ein gutes
Volleyspiel gemeinsam haben und dieses auch praktizierten. Es ist beinahe
unmöglich, einen Djokovic, Nadal oder Federer von der Grundlinie aus zu
besiegen. Der Weg nach vorne bietet gerade in Wimbledon höhere Erfolgschancen
für die Herausforderer.
Rafael Nadal
(ATP 2)
-
Thomaz Bellucci
(ATP 80)
Wer findet Bellucci auf Bild 1? - Genau, er spiegelt
sich im Fenster bei seinem Einsatz im Doppel mit Carsten Ball auf Court 15
wieder. Auf dem Centre Court gegen Nadal legte der Brasilianer dann einen
Blitzstart hin. Er spielte sehr riskant und führte schnell mit 4:0, ehe Nadal
die Partie in den Griff bekam.
Riskant spielte auch
Rosol,
der Nadal in der darauffolgenden Runde besiegte. Mit dem 1:0 im fünften Satz
gelang dem Tschechen das entscheidende Break. Der 26-jährige aus Brünn hatte bis
zur zweiten Runde in Wimbledon auf ATP-Level lediglich 19 Siege errungen und 32
Niederlagen kassiert. Im fünften Satz schien aber praktisch jeder seiner
schnörkellosen Schläge ein Winner zu sein. Die Statistik verdeutlicht diesen
phänomenalen Satzgewinn:
Statistik des fünften Satzes | Rosol | Nadal |
Asse | 7 | 3 |
Erste Aufschläge in Feld | 19 von 23 (83%) | 20 von 26 (77%) |
Gewonnene Punkte nach erstem Aufschlag | 18 von 19 (95%) | 14 von 20 (70%) |
Gewonnene Punkte nach zweitem Aufschlag | 2 von 4 (50%) | 4 von 6 (67%) |
Gewinnschläge | 20 | 5 |
Unerzwungene Fehler | 2 | 2 |
Gewonnene Punkte | 28 | 21 |
Fazit: Ein Satz nahezu
ohne unerzwungene Fehler beider Spieler. Rosol gewann 20 seiner 28 Punkte mit
direkten Gewinnschlägen.
In der nächsten Runde unterlag er Kohlschreiber auf Court 12 aber ohne einen
Satzgewinn.
Roger Federer
(ATP 3)
-
Julien Benneteau
(ATP 32)
Immer noch mit dem Nadal-Aus vom Vortag im
Hinterkopf verfolgten alle Zuschauer gebannt, wie sich Federer aus einer
0:2-Satzrücklage zu befreien versuchte. Im vierten Satz wurde es zunehmend
gefährlich für den 30-jährigen Schweizer, da er bei 2:2 trotz eines
0:40-Vorsprungs drei Breakchancen verstreichen liess. Er verhielt sich in dieser
Situation zu passiv und wartete hauptsächlich auf den Fehler Benneteau's, der
ihm diesen Gefallen nicht tat. Der Franzose war im vierten Satz nur zwei Punkte
vom Matchgewinn entfernt, verlor den Durchgang aber schliesslich im Tie-Break.
Der fünfte Satz verlief dann klar zu Gunsten Federers. So hat der Schweizer im
Einzel die Chance noch weitere Handtücher einzupacken, während es für Benneteau
das Letzte für dieses Jahr war (Bild 6).
Andy Murray
(ATP 4)
-
Nikolay Davydenko
(ATP 47)
Mit der siebten Erstrundenniederlage im
elften Jahr ist Wimbledon das klar schwächste Grand Slam-Turnier für Davydenko.
Die Siegchancen gegen Murray waren
aus Sicht des Russen deshalb schon
im Vornherein gleich Null gewesen. Spielt Murray offensiv, so ist sein Spiel
sehr unterhaltsam. Oftmals verhält sich der Schotte aber passiv. In Wimbledon
auf Rasen kann er sich diese defensive Spielweise glücklicherweise nicht
leisten.
Jo-Wilfried Tsonga
(ATP 6)
London ist ein gutes Pflaster für Tsonga. Vor
Jahresfrist gewann er das ATP-Rasenturnier im Queen's Club. In Wimbledon schlug
er Federer und zog in die Halbfinals ein. Bei den ATP World Tour Finals im
November musste er sich dem Schweizer erst im Finale geschlagen geben.
Ernests Gulbis
(ATP 87)
-
Tomas Berdych
(ATP 7)
Was für eine Verschwendung von Talent. Dieser
Ernests Gulbis könnte so viel erreichen, wenn er nicht schon von einer sehr
wohlhabenden Familie stammen würde und deshalb viel zu gleichgültig agiert. Auf
dem Centre Court war seine Motivation gross genug um den Finalisten von 2010
auszuschalten. Gulbis schlug 30 Asse, drängte seinen Gegner aber vor allem mit
starken Returns bei dessen Aufschlag in die Defensive. Die zweiten Aufschläge
von Berdych genügten nicht gegen die Returnstärke des 23-jährigen Letten.
Berdych gewann nur 24 Punkte von 50 zweiten Aufschlägen (48%).
Im dritten Satz musste Gulbis den Sieg erdauern. Er kam zu zwei Break-
beziehungsweise Matchbällen bei 5:4. Sein erster Return kam geradezu auf Berdych
zugeschossen. Irgendwie schaffte es der Tscheche dank guter Reaktion aber sein
Racket an den Ball zu bringen und konnte mit der Gegenenergie einen glücklichen
Gewinnschlag landen. Der zweite Matchball wurde durch Hawk Eye zu Gulbis'
Ungunsten entschieden. Hier spielte sich eine kuriose Szene ab, die auf den
Bildern 3-6 dokumentiert ist: Gulbis' Vater im schwarzen Anzug hatte angestrengt
versucht ruhig zu bleiben. Bei der Hawk Eye-Entscheidung glaubte er zuerst an
den Matchgewinn seines Sohnes und explodierte vor Jubel, ehe er seinen Fehler
bemerkte.
Schliesslich musste eine dritte Entscheidung im Tie-Break her und zum dritten
Mal blieb Gulbis in der Kurzentscheidung siegreich. Das Spiel der nächsten Runde
trug er auf Court 17 aus und verlor gegen einen Qualifikanten. Vor dem grossen
Publikum auf dem Centre Court überzeugte er. Wenig beachtet auf einem Nebenplatz
liess er es wieder schleifen. Was für eine Verschwendung von Talent.